«Wir verstehen die Tagung als Anfang»
Rückblick und Ausblick nach der Tagung «A future for whose past?»
Von Daniel Bernet, Redaktor Bulletin Kulturerbe Schweiz
Bulletin 4/2025 – Eine Zukunft für wessen Vergangenheit?, 10. Dezember 2025Die Tagung «A future for whose past?» erforschte neue Ansätze für eine inklusivere Denkmalpflege und vertiefte den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis. Im Gespräch ziehen Silke Langenberg, Professorin an der ETH Zürich, und Dr. Sebastian Steiner, Geschäftsführer des Netzwerk Kulturerbe Schweiz, eine erste Bilanz.

Silke Langenberg und Sebastian Steiner im Gespräch auf dem Monte Verità in Ascona. © Netzwerk Kulturerbe Schweiz, Daniel Bernet
Das Europäische Denkmalschutzjahr 1975 stand unter dem Motto «Eine Zukunft für unsere Vergangenheit». 50 Jahre später stellte die Tagung «A future for whose past?» angesichts globaler Herausforderungen, Migration, kommunikationstechnologischer Revolutionen und bürger- und menschenrechtlichem Aktivismus die Frage, wer mit «uns» gemeint ist. Wie kann die Denkmalpflege inklusiver werden und von Perspektiven von Minderheiten, Randgruppen und Menschen ohne Lobby lernen, die bisher wenig berücksichtigt wurden? Die Tagung vom 21. bis 24. Oktober 2025 im Rahmen der Congressi Stefano Franscini auf dem Monte Verità oberhalb von Ascona war eine gemeinsame Veranstaltung von ICOMOS Suisse, der ETH Zürich, der EPFL und des Netzwerks Kulturerbe Schweiz. Die rund 140 Teilnehmenden kamen aus dem In- und Ausland, aus unterschiedlichen Disziplinen, Hochschulen und staatlichen Institutionen. Sie hatten diverse Hintergründe, es wurde in drei Landessprachen und Englisch gesprochen.
Wie war es möglich, mit der grossen Vielfalt an dieser Tagung umzugehen?
Sebastian Steiner: Die Vielfalt war eine Herausforderung. Aber sie war auch eine Chance. Zunächst war es zentral, Formate zu schaffen, die den interdisziplinären Austausch ermöglichen und Brücken zwischen Theorie und Praxis schlagen. Viele Beiträge haben theoretische Konzepte mit konkreten Beispielen verbunden. Die Tagung hat gezeigt, dass sich kritische Reflexion und praktische Erfahrung nicht ausschliessen, sondern gegenseitig stärken. Unterschiedliche Sprachen, Disziplinen und institutionelle Hintergründe haben die Diskussionen dabei bereichert. Letztlich war es aber das Engagement der Teilnehmenden, das den Umgang mit Vielfalt ermöglicht hat: Die Bereitschaft, zuzuhören, sich einzubringen und voneinander zu lernen.
Silke Langenberg: Mich hat insbesondere gefreut, dass so viele junge Kolleginnen und Kollegen an der Tagung teilgenommen und sich auch aktiv an den Diskussionen beteiligt haben. Wir hatten bereits in unseren Lehrveranstaltungen an der ETH Zürich und der EPFL bemerkt, dass der Diskurs um das Erbe von Minderheiten, Randgruppen und Menschen ohne Lobby junge Menschen besonders anspricht. Viele damit einhergehende Fragen sind von der jüngeren Generation bislang nicht als Thema der Denkmalpflege wahrgenommen worden. Dass es so viele gemeinsame Anliegen gibt, hat manche vielleicht überrascht, alle aber sehr gefreut.

Silke Langenberg, Professorin für Konstruktionserbe und Denkmalpflege an der ETH Zürich, leitet die Arbeitsgruppe «Denkmalschutzjahr 2025» von ICOMOS Suisse und initiierte verschiedene Aktivitäten zum 50-Jahre-Jubiläum des Denkmalschutzjahrs 1975, darunter die Tagung «A future for whose past?». © Netzwerk Kulturerbe Schweiz, Daniel Bernet
Was waren die grössten Herausforderungen bei der Vorbereitung und der Durchführung der Tagung?
Sebastian Steiner: Die Fülle der Beiträge, die Vielfalt der Sprachen und Formate, die Komplexität der Fragestellung sowie die unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Institutionen haben im Vorfeld eine sorgfältige Abstimmung erfordert. Dass dabei, aber auch an der Tagung selbst, so viele interessante Gespräche entstanden sind, auch zwischen Menschen aus ganz unterschiedlichen Kontexten, war für mich ein Zeichen, dass das Format funktioniert hat. Ohne das Engagement ganz vieler Beteiligter, insbesondere des Organisationskomitees, das diese Herausforderungen mit viel Umsicht und Einsatz gemeistert hat, wäre die Tagung kaum möglich gewesen.
Silke Langenberg: Auf der Tagung selbst war für viele – wie auch mich persönlich – der ständige Wechsel zwischen den Sprachen sicher anspruchsvoll, aber auch die Fülle von Themen und Beiträgen. Wir hatten vierzig Vorträge in acht Sessions, einige wenige davon parallel, dazu drei Workshops, offizielle Ansprachen und eine Podiumsdiskussion. Die Pausen waren mit unzähligen persönlichen Gesprächen über das Gehörte gefüllt. Bei aller Anregung ist ein solches Programm natürlich auch anstrengend und wird ein wenig Zeit zur Verarbeitung brauchen.

Round Table mit Oliver Martin (Bundesamt für Kultur), Francesca Gemnetti (ehemalige Präsidentin der Schweizerischen UNESCO-Kommission), Mathilde Crevoisier Crelier (Präsidentin des Netzwerks Kulturerbe Schweiz), Silke Langenberg (ETH Zürich) und Florence Graezer Bideau (EPFL). © Netzwerk Kulturerbe Schweiz, Daniel Bernet
Ist die Diskussion um das Erbe von Minderheiten und Randgruppen mit der Tagung und dem langsam auslaufenden Jubiläumsjahr nun auch zu Ende oder gehen die Diskussionen weiter? Gibt es Anschlussprojekte?
Silke Langenberg: Wir verstehen die Tagung als Anfang. Das Jubiläumsjahr neigt sich zwar dem Ende zu und damit enden auch die vielen Veranstaltungen, Ausstellungen, Diskussionen und Publikationen, die in der Schweiz dem Thema gewidmet waren. Ziel der bewusst gegen Jahresende angesetzten Tagung war es aber stets, ein Netzwerk aufzubauen, das das Thema im Anschluss praktisch und wissenschaftlich weiterverfolgt. Wir beabsichtigen ein grösseres, hoffentlich internationales Verbundprojekt anzustossen, um die vielen unterschiedlichen Aspekte des Themas über Sprach- und Landesgrenzen, Disziplinen, Institutionen und Generationen, über Geschlechter, Klassen und Religionen hinweg gemeinsam weiter zu verfolgen. Wie auch auf der Tagung bereits gesagt, hoffen wir, dass sich möglichst viele Institutionen dem geplanten Projekt und Anliegen anschliessen – egal, ob sie bereits Teil unseres Netzwerkes sind oder erst werden möchten.
Sebastian Steiner: Ich freue mich, dass die aufgeworfenen Fragen und Erkenntnisse damit weiterwirken. Die Tagung hat viele interessante Perspektiven sichtbar gemacht, die bislang wenig Raum hatten. Es wäre bedauerlich, wenn diese Impulse einfach verpuffen. Im Anschluss an die Tagung werden wir die Ergebnisse deshalb auf jeden Fall veröffentlichen. Schon die hohe Qualität der Beiträge verpflichtet uns dazu. Es ist geplant, die Conference Proceedings im kommenden Jahr in der «Schriftenreihe zur Kulturgüter-Erhaltung» zu publizieren. Das ist uns dank grosszügiger Unterstützung durch das Bundesamt für Kultur und die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften möglich und freut uns alle natürlich sehr.

Workshop in der Sala Balint des Bauhaus-Hotels Monte Verità. © Netzwerk Kulturerbe Schweiz, Daniel Bernet
Literatur
Bereits erschienen ist «A future for whose past? A Guidebook», herausgegeben von der Arbeitsgruppe Denkmalschutzjahr 2025 des ICOMOS Suisse und von der Professur für Konstruktionserbe und Denkmalpflege der ETH Zürich im Verlag Hier und Jetzt, Zürich 2025, 250 Seiten, CHF 39.–, ISBN 978-3-03919-642-5.